EuGH entscheidet am 20.07.2016 zugunsten Vergütungsanspruch für Urlaub bei Eigenkündigung

Beendet ein Arbeitnehmer von sich aus sein Arbeitsverhältnis, hat er Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub ganz oder teilweise nicht verbrauchen konnte.

Herr M., ein Beamter der Stadt Wien, wurde auf seinen Antrag mit Wirkung zum 1.7.2012 in den Ruhestand versetzt. In der Zeit vom 15.11.2010 bis zum 30.6.2012 war er nicht zum Dienst erschienen. Vom 15.11. bis zum 31.12.2010 befand er sich im Krankheitsurlaub. Ab dem 1.1.2011 war er aufgrund einer Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber verpflichtet, nicht zum Dienst zu erscheinen, wobei ihm sein Entgelt fortgezahlt wurde.
Nach seinem Eintritt in den Ruhestand verlangte Herr M. von seinem Arbeitgeber, ihm eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen; er sei nämlich kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand erneut erkrankt. Sein Arbeitgeber wies diese Forderung mit der Begründung zurück, nach der Besoldungsordnung der Stadt Wien habe ein Arbeitnehmer, der von sich aus das Arbeitsverhältnis beende – u. a. indem er die Versetzung in den Ruhestand beantrage –, keinen Anspruch auf eine solche Vergütung.
Das VG Wien, bei dem Herr M. deshalb Klage erhoben hat, möchte vom EuGH wissen, ob eine solche Regelung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2003/881 vereinbar ist.

Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat entschieden, dass nach der Richtlinie 2003/88/EG jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat und dass dieser Anspruch einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstellt. Er wird jedem Arbeitnehmer unabhängig von seinem Gesundheitszustand gewährt. Nach Auffassung des EuGH hat der Arbeitnehmer, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde und es deshalb nicht mehr möglich ist, bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen, nach der Richtlinie Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser fehlenden Möglichkeit jeder Genuss des Urlaubsanspruchs, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird.
Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spiele keine Rolle. Daher habe der Umstand, dass ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis von sich aus beende, keine Auswirkung darauf, dass er gegebenenfalls eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub beanspruchen könne, den er vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchen konnte.
Die Richtlinie stehe nationalen Rechtsvorschriften wie der Besoldungsordnung der Stadt Wien entgegen, nach denen ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis infolge seines Antrages auf Versetzung in den Ruhestand beendet wurde und der nicht in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende dieses Arbeitsverhältnisses zu verbrauchen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub habe.
Hinzuweise sei auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach ein Arbeitnehmer beim Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung habe, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub wegen einer Krankheit nicht verbrauchen konnte (Urt. v. 3.5.2012 – C-337/10, BeckRS 2012, 80798: Bei Eintritt in den Ruhestand hat ein Beamter Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, wenn er seinen Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen aus Krankheitsgründen ganz oder zum Teil nicht ausüben konnte; Urt. v. 20.1.2009 – C-350/06, NJW 2009, 495: Ein Arbeitnehmer verliert nicht seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den er wegen Krankheit nicht ausüben konnte). Herr M. habe folglich in Bezug auf den Zeitraum zwischen dem 15.11. und dem 31.12.2010, für den feststehe, dass er sich im Krankheitsurlaub befunden habe und deshalb in diesem Zeitraum den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub nicht verbrauchen konnte, Anspruch auf eine finanzielle Vergütung.
Mit dem Anspruch auf Jahresurlaub werde ein doppelter Zweck verfolgt, der darin bestehe, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen.
Damit die praktische Wirksamkeit dieses Anspruchs auf Jahresurlaub gewährleistet werde, sei folgender Grundsatz aufzustellen: Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis beendet wurde und der nach einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung während eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin sein Entgelt bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, habe keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den während dieses Zeitraums nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.
Das vorlegende Gericht werde daher zu prüfen haben, ob dies bei Herrn M. in der Zeit vom 1.1.2011 bis zum 30.6.2012 der Fall war. Wenn ja, habe er keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub, den er in dieser Zeit nicht verbrauchen konnte, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.
Überdies sei festzustellen, dass die Richtlinie zwar Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung festlegen soll, die von den Mitgliedstaaten zu beachten seien, doch haben diese das Recht, für die Arbeitnehmer günstigere Vorschriften zu erlassen. Somit stehe die Richtlinie innerstaatlichen Bestimmungen nicht entgegen, die einen bezahlten Jahresurlaub vorsehen, der den durch die Richtlinie garantierten Mindestzeitraum von vier Wochen übersteigt und unter den im nationalen Recht festgelegten Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung eingeräumt werde.
Demnach stehe es den Mitgliedstaaten frei, Arbeitnehmern neben dem in der Richtlinie vorgesehenen Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub zu gewähren. In diesem Fall könnten die Mitgliedstaaten vorsehen, dass ein Arbeitnehmer, der vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aus Krankheitsgründen seinen zusätzlichen bezahlten Jahresurlaub nicht in vollem Umfang verbrauchen konnte, Anspruch auf eine diesem zusätzlichen Zeitraum entsprechende finanzielle Vergütung habe. Es sei Sache der Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Gewährung festzulegen.
EuGH, Urt. v. 20.7.2016 – C-341/15

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