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Neuer Rechtsrahmen für den Seehandel und besserer Schutz für Schiffpassagiere

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat am 17. 5. 2011 einen Referentenentwurf zur Reform des Seehandelsrechts vorgestellt. Danach soll sas Seehandelsrecht von antiquierten Regelungen und unnötigem Ballast befreit und an den modernen Seehandel angepasst werden. Überholte Institute wie die Partenreederei und die Verklarung werden abgeschafft. Die Güter- und Personenbeförderung wird umfassend neu geregelt. Zum ersten Mal werden auch Verträge über Schiffsüberlassungen gesetzlich geklärt.

Der Entwurf orientiert sich am internationalen Standard. Nach dem Vorbild der Rotterdam-Regeln, einem internationalen Abkommen aus 2008, werden Regeln zur Haftung bei Verspätungsschäden eingeführt. Auch neue Möglichkeiten zur Verwendung elektronischer Beförderungsdokumente, etwa der elektronische Seefrachtbrief, haben ihren Ursprung in den Rotterdam-Regeln. Bei der Erweiterung der Vertragsfreiheit gehen wir über die Rotterdam-Regeln hinaus, damit die Unternehmen ihre Verträge an die tatsächlichen Rahmenbedingungen anpassen können.

Künftig wird es nicht mehr möglich sein, die Haftung des Verfrachters für Schäden auszuschließen, die auf ein Verschulden der Besatzung bei der Führung und Bedienung des Schiffes zurückzuführen sind. Eingeführt wird auch eine quasi-vertragliche Haftung Dritter, die der Verfrachter zur Ausführung der Seebeförderung einschaltet.

Bei der Personenbeförderung auf Schiffen verbessern wir den Schutz der Passagiere. Sie sollen auf Küsten- oder Binnenschiffen künftig denselben Anspruch auf Schadensersatz wegen Tod oder Körperverletzung haben wie Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen. Die Haftungssummen werden erhöht und eine verschuldensunabhängige Haftung eingeführt.“

Hintergrund
Kernstück des am 17. 5. 2011 in Berlin vorgestellten Referentenentwurfs ist die Reform des Seehandelsrechts durch eine Neufassung des Fünften Buches des Handelsgesetzbuchs. Der Gesetzentwurf beruht auf Überlegungen, die eine vom BMJ eingesetzte Expertengruppe zur Reform des Seehandelsrechts in ihrem am 27. 8. 2009 vorgelegten Abschlussbericht unterbreitet hat, ist aber noch stärker an den so genannten Rotterdam-Regeln ausgerichtet als dort vorgeschlagen.

Außerdem sieht der Entwurf eine Änderung des Rechts der Personenbeförderung in der See- und Binnenschifffahrt, des allgemeinen Transportrechts sowie des sonstigen Binnenschifffahrtsrechts vor.

Im Einzelnen regelt der Entwurf:

Seehandelsrecht

Im Recht über das Frachtgeschäft wird die Haftung des Verfrachters am Vorbild neuerer internationaler seefrachtrechtlicher Übereinkommen ausgestaltet. So wird eine Haftung für die verspätete Ablieferung von Gütern eingeführt und der Ausschluss der Haftung des Verfrachters für Schäden, die auf ein Verschulden der Besatzung bei der Führung und Bedienung des Schiffes (so genanntes nautisches Verschulden) zurückzuführen sind, unmöglich gemacht. Die Liste der Schadensursachen, für die der Verfrachter nicht haften soll, wird nach dem Vorbild der Rotterdam-Regeln erweitert: Bergungsmaßnahmen, Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben und Maßnahmen zur Verhütung oder Begrenzung von Umweltschäden. Die Haftungshöchstsummen für Güterschäden werden auf das Niveau der Rotterdam-Regeln (875 Sonderziehungsrechte (rund 1010 Euro) je Stück oder Einheit (etwa einen Container) oder 3 Sonderziehungsrechte (rund 3,45 Euro) je Kilogramm Rohgewicht der betroffenen Güter) angehoben. Der Haftungshöchstbetrag für Verspätungsschäden wird auf das Zweieinhalbfache der Fracht festgelegt. Zusätzlich eingeführt wird eine Regelung über die Beschränkung der Haftung des Verfrachters wegen der Verletzung einer mit der Ausführung der Beförderung des Gutes zusammenhängenden vertraglichen Pflicht für Schäden. In Übereinstimmung mit dem allgemeinen Transportrecht soll hier die Haftung auf das Dreifache des Betrags beschränkt werden, der bei Verlust des Gutes zu zahlen wäre.


Neu eingeführt wird außerdem eine Regelung über die Haftung des so genannten ausführenden Verfrachters, also desjenigen, der nicht Vertragspartner des Befrachters ist, jedoch die Beförderung ganz oder teilweise durchführt. Die Haftung soll sich nach denselben Regeln richten, die für die Haftung des vertraglichen Verfrachters gelten. Abweichend vom Abschlussbericht soll ausführender Verfrachter aber nicht nur der Reeder sein, sondern auch derjenige, der für den vertraglichen Verfrachter das Gut verlädt oder löscht. Die noch weitergehende Regelung der Rotterdam-Regeln, wonach jedes in einem Hafen tätige Unternehmen, das Leistungen im Zusammenhang mit der Beförderung erbringt, für alle Schäden einzustehen hat, die bei der Beförderung entstehen, soll dagegen nicht übernommen werden.


Die Ansprüche aus dem Seefrachtvertrag oder aus dem Konnossement sollen – insoweit abweichend vom Abschlussbericht - in zwei Jahren verjähren. Eine ähnliche Regelung findet sich in den Rotterdam Regeln.


Schließlich soll die Vertragsfreiheit deutlich erweitert werden. So soll künftig jede Abweichung von den gesetzlichen Regelungen gestattet werden, die zwischen den Parteien eines Stückgutfrachtvertrags individuell ausgehandelt wird. Außerdem sollen die Parteien eines Stückgutfrachtvertrags die Möglichkeit erhalten, durch Allgemeine Geschäftsbedingungen die Haftungshöchstbeträge anzuheben oder in ein Haftungssystem zu optieren.


Soweit die Beförderungsdokumente betroffen sind, wird erstmals neben dem Konnossement der Seefrachtbrief geregelt. Außerdem wird eine gesetzliche Grundlage für die Verwendung elektronischer Beförderungsdokumente geschaffen. 
 

Eingeführt werden außerdem eigenständige Regelungen über die in der Praxis wichtigen Vertragstypen der Schiffsmiete („Bareboat-Charter“) und der Zeitcharter. Hierdurch soll insbesondere Klarheit über die rechtliche Einordnung dieser Verträge geschaffen werden.

Schließlich werden entsprechend dem Abschlussbericht die Anforderungen der Zivilprozessordnung an den Arrest bei Schiffen nach dem Vorbild ausländischer Rechtsordnungen abgemildert.

Die Partenreederei, eine aus dem Mittelalter stammende, vom Eigentum an einem Schiff abhängige Gesellschaftsform, wird abgeschafft, weil sie keine Bedeutung mehr hat. Gleiches gilt für das Verklarungsverfahren, ein besonderes Verfahren, das der Beweisaufnahme über den tatsächlichen Hergang eines Schiffsunfalls dient. Aufgehoben werden auch die in der Praxis nicht bedeutsamen Regelungen über die besondere Haverei, die uneigentliche Haverei sowie die kleine Haverei. Beibehalten wird dagegen eine auf wenige Grundzüge beschränkte Regelung über die Große Haverei. Hierunter versteht der Entwurf – insoweit geringfügig abweichend vom bislang geltenden Recht – die vorsätzliche Beschädigung oder Aufopferung des Schiffs, des Treibstoffs oder der Ladung auf Anordnung des Kapitäns zur Errettung aus einer gemeinsamen Gefahr.

Die Regelungen über die quasi-vertragliche Haftung des Kapitäns für die Ausführung der vom Reeder abgeschlossenen Verträge werden gestrichen, weil dem Kapitän heute keine unternehmerähnliche Stellung mehr zukommt.

Personenbeförderungsrecht
Die Haftung für Passagiere auf Seeschiffen und für deren Gepäck soll nach dem Entwurf nicht mehr in einer Anlage zum HGB geregelt werden, sondern wieder im HGB selbst. Zwar verbessert bereits eine neue europäische Verordnung – die so genannte VO Athen - die Stellung der Passagiere deutlich. Diese europäische Verordnung, die Vorrang vor den nun vorgeschlagenen Regelungen hat, gilt aber nicht für alle Seebeförderungen und auch nicht für Beförderungen auf Binnenschiffen. Neu werden damit folgende Regelungen sein:

Die Verschuldenshaftung des Beförderers für Tod oder Körperverletzung eines Fahrgasts wird nicht mehr auf rund 164 000 Euro begrenzt, sondern auf rund 452 000 Euro. Zusätzlich wird eine verschuldensunabhängige Haftung eingeführt, soweit der Schaden auf einem so genannten Schifffahrtsereignis, etwa einem Schiffszusammenstoß, beruht. Insoweit soll die Haftung auf rund 289 000 Euro begrenzt werden.


Die Haftungshöchstbeträge für Güterschäden (Verlust, Beschädigung oder verspätete Aushändigung von Kabinengepäck, Fahrzeugen oder sonstigem Gepäck) werden ebenfalls deutlich angehoben, bei Fahrzeugen um rund 80 %. 
 

Diese Regelungen stimmen inhaltlich mit dem Protokoll von 2002 zum Athener Übereinkommen von 1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See überein, auf dem auch die VO Athen beruht.

Unverändert bleiben soll der Haftungshöchstbetrag, auf den der Schiffseigentümer oder Schiffseigner seine Haftung für die Summe aller aus einem Schadensereignis herrührenden Ansprüche wegen Personenschäden von Reisenden beschränken kann. Der Haftungshöchstbetrag beträgt bei Seeschiffen rund 202 000 Euro multipliziert mit der Anzahl der Reisenden, die das Schiff nach dem Schiffszeugnis befördern darf, und bei Binnenschiffen rund 69 000 Euro multipliziert mit der Anzahl der Reisenden, die das Schiff nach dem Schiffszeugnis befördern darf.

Allgemeines Transportrecht
Im allgemeinen Transportrecht sollen insbesondere folgende Änderungen vorgenommen werden:

Die bisherige Verjährungsfrist von einem Jahr oder, bei schwerem Verschulden, von drei Jahren, soll durch eine einheitliche Verjährungsfrist von zwei Jahren ersetzt werden.


Die Vertragsfreiheit soll erweitert und die Möglichkeit eröffnet werden, eine Haftung des Frachtführers zu vereinbaren,


Es soll eine Rechtsgrundlage für die Verwendung elektronischer Beförderungsdokumente (Frachtbrief, Ladeschein, Lagerschein) geschaffen werden.

Binnenschifffahrtsrecht
Im Binnenschifffahrtsrecht sollen wesentliche Grundentscheidungen, die in Bezug auf das Seehandelsrecht getroffen werden, übernommen werden. Dementsprechend werden folgende Neuerungen vorgesehen:

Die Sonderregelungen über die gerichtliche Beweisaufnahme bei Unfällen werden aufgehoben.


Die Vorschriften über die Haverei werden weitgehend aufgehoben. Soweit die Große Haverei betroffen ist, wird auf die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs verwiesen.


Neu eingeführt wird eine Regelung über Schiffsüberlassungsverträge.

Save the Date: Personaltag am 10./11.10.2024

Den Flyer der letztjährigen Veranstaltung finden Sie hier